Logbuch einer Reise mit den Anonymen Antizionisten
Von Gesine Koch, Psychotherapeutin
Ich bin fix und fertig. Die eine Woche, die ich mit den AA (die Abkürzung war ein Vorschlag von Erhard, der sich immer noch wie ein Kind darüber freut), in Israel und den Gebieten verbrachte, hat mich an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht. Es folgen weitere Auszüge aus meinen Reisenotizen, diesmal zur zweiten Wochenhälfte – ein Dokument des Wahnsinns.
Tag 4
Um die AA bei der Stange zu halten, ließ ich sie bis auf weiteres in dem Glauben, wir würden Uri Avnery treffen. Mit dem eitlen Sack hatte ich vor der Reise mal telefoniert. Er war grundsätzlich zu einem Termin bereit, ruderte allerdings vorsichtig zurück, als er hörte, dass auch Ellen dabei sein würde. Offensichtlich war ihm seine „offizielle Übersetzerin“ selbst ziemlich peinlich. Seine unverbindliche Zusage zog er dann vor Ort, wenig überraschend, kurzfristig zurück. Er habe „Kopfschmerzen“. Ellen war so enttäuscht, dass sie vor Wut ihren Rollator umstieß, der daraufhin mit großem Geschepper umfiel, was ihr im Frühstücksraum ziemlich missbilligende Blicke einbrachte.
„Fahren wir heute mal nach Bil´in, Frau Koch?“, fragte Erhard. „Ich will unbedingt die heldenhaften Widerstandsaktionen gegen die Mauer sehen!“ – „Die sind immer nur freitags“, beschied ich ihm. „Aber meinetwegen können wir gern mal einen Abstecher machen.“ Erhard hatte vor Vorfreude schweißnasse Hände, als er mich spontan umarmte.
Umso größer die Enttäuschung, als wir Bil´in erreichten. Ein popeliger Zaun, nicht mal besonders hoch. Das war´s. Verschämt steckte Erhard seine Kamera, die er erwartungsvoll gezückt hatte, wieder in den Rucksack. „Wo ist denn jetzt diese Mauer, von der isch beim Erhard immer lese?“ fragte Norbert. Eisiges Schweigen im Bus. Vor allem, als ich noch einmal kurz referierte, wann und warum die Sperranlage errichtet wurde. „Zionist bitch“, grummelte Norman in sich hinein, Evelyn biss sich auf die Lippen, Felicia schimpfte unverständlich vor sich hin. Nach dem Besuch eines Reha-Zentrums, in dem bei Terroranschlägen verletzte und verstümmelte Opfer behandelt wurden, hielten die AA aber endlich mal die Fresse.
Vorm Betreten der Knesset führten sie sich dafür auf wie der kleine Damien in „Das Omen“, als er zum ersten Mal eine Kirche sieht. Es half nichts, sie mussten rein. Auf dem Weg zum Sitzungssaal, in dem wir mit Vertretern verschiedener Parteien diskutieren sollten, lief uns im Foyer MK Ghalib Mudschadala über den Weg. Der Name sagte der Gruppe nichts. Kein Wunder, Mudschadala ist Abgeordneter der Avoda, ein israelischer Araber, Geschäftsmann und 2007-2009 der erste muslimisch-arabische Minister im „rassistisch-faschistisch-zionistischen“ (Evelyn) Israel. Ich erkannte auch Ahmad Tibi von der Vereinigten Arabischen Liste und Said Naffaa (Balad).
„Essen die in der gleichen Kantine wie die Juden?“, wollte Ludwig wissen.
Herr, lass Hirn vom Himmel regnen!
Immerhin: Bergfest. Nur noch drei Tage. Halt durch, Gesine.
Tag 5
Vor der Abreise nach Ariel herrschte in der Gruppe mehr Unruhe als in einer Schweineherde beim Transport ins Schlachthaus. Mit „Faschisten, Kolonialisten und ethnischen Säuberern“ wolle sie nicht reden, protestierte Viktoria mit hochrotem Kopf, aber ich bestand darauf, sie gerade in diese „Siedlung“ zu lotsen. Dort würden sie feststellen, dass es sich um eine 17.000-Einwohner-Stadt handelt, die mit den arabischen Dörfern der Umgebung durchaus gutnachbarschaftliche Beziehungen pflegt und dass „Siedler“ völlig normale Menschen sind, wenn sie nicht gerade in Kiryat-Arba wohnen.
Die Fahrt war die Hölle, nicht nur wegen der ewigen Pinkelpausen, die mir den ganzen Zeitplan zu zerschießen drohten. Insgeheim schwor ich, nie wieder mit einer solchen Rentnergang zu verreisen: Herzkasper, Kreislaufprobleme, Schwächeanfälle, dazu die dauernde Gefahr der Dehydrierung – im Grunde hätte ständig ein Ambulanzwagen als Begleitfahrzeug hinter unserem Bus herfahren müssen. Bin ich denn Geriatrikerin, verdammt noch mal?!
In Ariel selbst kletterten die AA umständlich aus dem Fahrzeug und wurden sogleich einiger arabischer Arbeiter gewahr, die emsig auf einem Rohbau werkelten. Norman (der aus Amerika) konnte nicht an sich halten und rief zornbebend „Traitooooooor!!“ hinauf. „Kuss ummak!“, schallte es vom Baugerüst zurück, und ich grinste in mich hinein.
Völlig niedergeschlagen wirkten meine anstrengenden Schützlinge nach dem Besuch des College of Judea and Samaria. Offensichtlich hatten sie nicht erwartet, dass hier auch Araber (aus dem Kernland ebenso wie aus der Westbank) studieren. Eine kleine Provokation konnte ich mir daher nicht verkneifen. „Na, Ellen? Ethnische Säuberung und schleichender Völkermord sehen anders aus, was?“ – „Und was ist mit Qalqiliya? Was ist mit Qalqiliya??“ keifte die Kräuterhexe zurück.
Beim Gespräch mit der Stadträtin fiel mir auf, dass Norbert ungewöhnlich aufmerksam ihre Erscheinung studierte und einmal sogar einen leisen Pfiff ausstieß. Überhaupt machte er im Gegensatz zu den anderen einen recht vergnügten Eindruck. Bei den Mittagsmahlzeiten etwa schaufelte er sich lustvoll alle Köstlichkeiten rein, die die israelische Küche zu bieten hat: orientalische Schweinereien von Humus mit Lammhack über Falafel bis zu Shawarma, dazu schmackhafte Salate und Nudelgerichte; er lobte das exzellente Essen und schaute den Kellnerinnen nach. Ganz anders Erhard. „Nicht mal Seniorenteller ham sie hier…“, maulte er in einem fort, „alles Scheiße. ARSCHLOCHPIPIKACKA KALTENBRUNNERSIEGHEIL! Oh, Entschuldigung…“ Es wurde wieder schlimmer mit seinem Tourette, das hatte ich schon bemerkt. Aber nicht nur deshalb saß er meistens allein im Bus und starrte aus dem Fenster, während Norman & Norman dösten und Felicia und Evelyn sich in Rage redeten. Norbert schien mir langsam bei den anderen unten durch zu sein, er war einfach nicht anti genug. Ludwig wiederum schmökerte verschämt in einem abgegriffenen Büchlein. Von Rupert gefragt, was er da lese, murmelte er etwas von „einem älteren Werk aus Abis Verlag“. In seiner Pinkelpause schaute ich auf das Cover: ein Zero-Press-Titel, illustrierte Beischlafstory, offensichtlich aus dem viktorianischen Zeitalter. Na, das passt ja, dachte ich. Und jetzt verlegt er Antisemitenpornos wie den Goldstone-Report.
„Warum ist der Abi eigentlisch nischt mitgekommen?“, fragte Norbert, und fiel aus allen Wolken, als ich ihm sagte, dass Abi seit seiner Desertion nicht mehr im Land gewesen ist. „Das heißt, er war seit vierzisch Jahren nischt mehr hier und schreibt jeden Tach darüber, was hier los ist?!“, wunderte er sich. „Das ist ja, als würde sisch ein Franziskanermönsch unablässisch über Geschleschtsverkehr äußern!“. Bingo. Norbert fing an, zu begreifen. Bei ihm bestand Aussicht, ihn von der Idiotie der Israelbesessenheit heilen zu können.
Nach der Rundfahrt über den Golan ließ er sich abends einen feinen Yarden schmecken und scherzte, also seinetwegen müsste Israel das Massiv nicht unbedingt Syrien überlassen. Von da an wurde er von den anderen wie ein Aussätziger behandelt, was ihm allerdings wenig auszumachen schien. „Also, isch finds toll hier!“, sagte er trotzig. Und ließ die Bombe platzen: „Und damit ihr´s gleisch wisst, isch flieg auch nischt mit Eusch zurück, isch häng hier noch ein, zwei Wochen Urlaub dran, um mir das alles mal in Ruhe anzukucken!“
Von da an schlug ihm nur noch der blanke Hass entgegen. Ich aber freute mich: Wenigstens einer würde geheilt nach Deutschland zurückkehren.
Tag 6
Norbert ist abgereist, er hat an der Rezeption einen Zettel hinterlassen. Hat sich kurzfristig in einem Hotel an der Mittelmeerküste einquartiert und uns noch „viel Spaß und neue Erkenntnisse“ gewünscht, der alte Schlawiner. Glücklicher Norbert! Ich muss noch 48 Stunden mit den Kaputten aushalten.
In der Lobby hockte Erhard am PC, er war wohl neugierig, was sich auf seinem Linkportal tat. Seine Auftraggeber hatten, wie ich nun wusste, einen albanischen Schafhirten mit rudimentären Deutschkenntnissen eingesetzt, der während Erhards Abwesenheit die empörungsgeschwängerten Kurzkommentare schrieb. Ich konnte nicht den geringsten Unterschied erkennen.
Diesmal zeigte ich der Gruppe ein Gefängnis, in dem einige palästinensische Hardcore-Terroristen einsaßen. Der Leiter hielt einen Vortrag und gewährte dann einen Einblick in die Haftbedingungen. Die AA sahen ausschließlich gut genährte junge Männer, von denen einige gerade für ein Fernstudium büffelten, das ihnen der Staat Israel kostenlos gewährte. „Soviel zu eurem Gerede von den armen Gefangenen, die ,in israelischen Kerkern schmachten´“, meinte ich beim Rausgehen. „It´s all fake!“, schrie Norman, aber vor allem Rupert schien nicht überzeugt. Offensichtlich tat sich hier der zweite schwächelnde Punkt in der Ablehnungsfront auf…
Dann ein peinlicher Vorfall in der Steimatzky-Filiale in der Dizengoff. Erhard suchte vergeblich nach einem Magazin („Der neue SEMIT müsste jetzt raus sein… den haben sie hier sicher nicht, die Schweine… machen alles mundtot mit ihrer Holocaust-Keule…“) und bekam gleich den nächsten Anfall („HÄUFCHEN! ABSPÜLEN SCHEISSEVERDAMMTE!“). Alle waren peinlich berührt, vor allem wegen des Schaumes vorm Mund. „Shall I call a doctor?“ erkundigte sich die verstörte Angestellte der Buchhandlung, aber da hatte sich unser Künstler schon langsam wieder gefangen, schnaufte nur noch. Hätte sich doch bloß der Boden unter uns aufgetan! Draußen wäre Ellen dann noch beinahe gestürzt, als ihr Rollator sich an einer unebenen Stelle des Trottoirs verkantete, Rupert konnte sie gerade noch festhalten.
Das ist das letzte Mal, dass ich sowas mache. Von deutschem Boden darf nie wieder so eine Expedition ausgehen.
Tag 7
Die ultimative Israel-Erfahrung habe ich mir für den letzten Tag aufgespart: zwei Stunden Busfahren im Stadtgebiet von Tel Aviv zur Rush-Hour. Erhard brach der kalte Schweiß aus, Ellen zitterte am ganzen Körper wie Erhards Finger beim Schreiben, Felicia meinte, sie könne heute nicht mitkommen, sie „fühle sich nicht so“ und Evelyn wurde plötzlich ganz schwindlig, kreidebleich verlangte sie nach einem Glas Wasser. Aber jetzt war ich ganz unbarmherzig, drängte die Rentnercombo in einen blauen Dan-Bus. Zum Glück ging diesmal auch mit Tourette-Erhard alles glatt. Ich muss zugeben, ich weidete mich an den Schweißperlen, die meinen Schützlingen auf der Stirn standen. Und wie misstrauisch sie aus dem Fenster schauten, wenn an einer Haltestelle neue Fahrgäste zustiegen! Eine kleine Entschädigung für die Qual, die sie mir in den vergangenen Tagen zugefügt haben…
Am Ben-Gurion-Airport nochmal extra langes Filzen und Exklusiv-Interviews. Erhard wurde wieder beiseite genommen (Ellen: „Sonderbehandlung!“) und später von einem grinsenden Security-Mann zum Schalter geschickt. Ende Gelände. Immerhin hatte ich meine Schäfchen wohlbehalten zusammen – bis auf Norbert, der jetzt wohl an einem Pool in Netanya einen kühlen Mangosaft schlürfte – und den Eindruck, ihnen durchaus eine Lektion erteilt zu haben.
Im Flieger warf ich einen Blick auf Evelyn, die in der Süddeutschen Zeitung blätterte und verärgert den Kopf schüttelte, weil man ihren jüngsten Leserbrief gekürzt hatte. „Auch schon vor der Israel-Lobby eingeknickt“, zischte sie.
Jetzt ging es wieder heim, nach Malsburg-Marzell. Dort würde sie ihren aufopferungsvollen Kampf wieder aufnehmen, die „Publizistin“. Schadenfroh lehnte ich mich in meinem Sitz zurück.
ENDE
Der 2. Teil der Reisestory ließ viel zu lange auf sich warten – aber es war das Warten wert!
Ach nö! Bitte weitermachen!
Kann man das nicht einem Verleger als Taschenbuch Version schmackhaft machen?
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Lustig wäre es auf jedem Fall, es diesem Abi auf den Tisch zu knallen 😉 Es wäre bestimmt die niveauvollste Literatur, welcher er seit langem zu Gesicht bekommen hat; ich befürchte nur, dass es ein wenig zu viel Hochdeutsch für Ihn ist, Du müsste es wahrscheinlich übersetzen lassen.
Das war klasse. Ganz klasse! Ein starker Hauch von Kishon 🙂
Hat Norberts Wandlung eigentlich einen realen Hintergrund?
Hast du uns wirklich neun ganze Monate auf die Fortsetzung warten lassen???
Das Warten hat sich aber gelohnt!
Von deutschem Boden darf nie wieder so eine Expedition ausgehen.
Genau! Ich will mich ja nicht ständig fremdschämen müssen. 🙂
Schönes Tagebuch. 🙂
Ja haben die den „SEMIT“ denn jetzt, oder nicht? 😉
@ Tasumbu Tawosa
Nein. Manche Dinge bleiben Israel erspart.